09. Januar 2025
Die von uns zum Zwecke des Weanings übernommenen Patientinnen und Patienten haben in der Regel längere Intensivaufenthalte hinter sich. Die zur Behandlung führenden Ereignisse sind dabei entweder operativer (schwere Unfälle, schwere oder komplikativ verlaufende Operationen) oder internistischer Art (z.B. Lungenentzündung, COVID Erkrankung, Blutvergiftung, schwere Blutung). Unbeschadet von dem auslösenden Ereignis sind die Betroffenen über längere Zeit invasiv beatmet worden, d.h. dass Medikamente zum Schlafen verabreicht werden und dann initial über einen orotrachealen Tubus, also einen über die Atemwege vorgeschobenen Beatmungsschlauch, später über ein Tracheostoma, also einen per Luftröhrenschnitt in die Atemwege eingeführten Beatmungsschlauch, beatmet wird. Zu dieser auch als invasiven Beatmung bezeichneten Form gibt es angesichts der Schwere des Krankheitsbildes keine Alternative. Wir wissen heute aber auch, dass während dieser lebensnotwendigen Beatmung Prozesse angestoßen werden können, die nachteilig für die Gesundheit sind. Erstens kann die invasive Beatmung die Lunge (zusätzlich) schädigen, vor allem dann, wenn die Lunge akut entzündlich verändert ist (auch als Ventilator-induzierter Lungenschaden bezeichnet). Zweitens geht die Immobilisierung in Verbindung mit dem intensivpflichtigen Krankheitsbild mit einem erheblichen Abbau der Muskelmasse und einer temporären Schädigung peripherer Nerven einher, medizinisch zusammengefasst als "critical illness polyneuropathia". Dies führt zu einer möglicherweise weitreichenden, in der Regel aber nur temporären Einschränkungen der körperlichen Beweglichkeit. Drittens ist die längere Zufuhr sedierender Medikamente (also der Medikamente, die notgedrungener Massen in einen schlafartigen Zustand versetzen) mit der Möglichkeit einer deliranten Entwicklung bei dem Absetzen dieser Medikamente verbunden, die Patienten werden dann unruhig und ängstlich und sind ggf. noch nicht ganz orientiert.
Wenn wir Patientinnen und Patienten zum Weaning aufnehmen, gilt es daher zunächst in Würdigung der Grunderkrankung ein individuell ausgerichtetes, multinodales Behandlungskonzept zu entwickeln, dass alle oben genannten Punkte berücksichtigt und das zur langsamen Entwöhnung von der Beatmung und der Mobilisierung führen soll. Dies wird erreicht durch einen koordinierten Rückzug der medikamentösen Maßnahmen, vor allem der sedierenden Medikamente, und eine langsame Verminderung der Unterstützung durch die Beatmung. Nicht zu schnell, das führt in der Regel zu Komplikationen, aber doch stetig, jeden Tag ein bisschen mehr. Gerade bzgl. der Atmung bedeutet dies, dass die Atempumpe, also die Summe aller an der Atmung teilnehmenden Muskeln, so gestärkt wird, dass die invasive Beatmung nicht mehr notwendig ist. Die Patient:innen durchlaufen im Weaning eine Phase denkbar größter Unsicherheit: in der Regel können Sie sich am Anfang kaum bewegen, sind vielleicht geistig auch noch nicht vollkommen da und spüren die Abhängigkeit von Apparaten wie dem Beatmungsgerät. Gerade in der Anfangsphase ist daher die intensive Auseinandersetzung mit den Personen, eine ausführliche Erläuterung der Situation und der Perspektiven und das Mut machen ein elementarer Baustein der Behandlung. Elementar ist auch eine kranken- und atemgymnastische Behandlung, um neues Muskelwachstum und die Rückbildung der Nervenschädigung zu fördern, dies oft auch schon unter der unterstützenden Beatmung.
Weiterhin weisen viele der Patientinnen und Patienten aufgrund der Vorschädigung Störungen des Schluckaktes auf, was angesichts der Möglichkeit von Aspirationen, also dem Verschlucken von Speichel oder Nahrung in die Luftröhre und sich anschließend entwickelnder neuer Lungenentzündungen, von großer Bedeutung ist. Daher wird bei uns in jedem Fall der Schluckakt mittels endoskopischer Verfahren charakterisiert und – so notwendig – eine logopädische Behandlung eingeleitet mit dem Ziel evtl. vorhandene Störungen des Schluckaktes zu überwinden und einen normalen Schluckakt und damit eine normale Nahrungsaufnahme zu ermöglichen.
Einen zunehmend höheren Stellenwert beim prolongiertem Weaning nimmt mittlerweile die nicht invasive Beatmung = NIV ein, deren Einsatz die Dauer der invasiven Beatmung im Weaning verkürzen kann und für bis zu 30% der Entwöhnteneine dann dauerhafte Lösung für die außerklinische Beatmung darstellt. In Würdigung der bisherigen Indikationen für eine NIV erscheint eine solche v.a. nach Langzeitbeatmung infolge einer hyperkapnischen, akuten respiratorischen Insuffizienz indiziert. Auch bei persistierender chronisch ventilatorischer Insuffizienz nach prolongiertem Weaning leiten wir in Übereinstimmung mit der SK2 LL eine NIV ein. Bei Betroffenen mit hypoxämischer akuter respiratorischer Insuffizienz wenden wir eine NIV nicht an. Wer eigentlich eine NIV durchführen sollte, diese aber aus verschiedensten Gründen nicht gut verträgt, profitiert von einer High Flow O2 Therapie. Die Vorteile dieses bei akuter respiratorischer Insuffizienz eingesetzten Verfahrens gegenüber der NIV bestehen in der leichteren Anwendung, der reduzierten Komplikationsrate des Interfaces (Drucknekrosen bei nicht gut sitzenden Masken) und somit der guten Akzeptanz durch die Patientin oder den Patienten. Mechanistisch kann eine leichte PEEP Induktion und eine Auswaschung von CO2 und eine Verkleinerung des Totraums erzielt werden.
Bei adäquat wachen Betroffenen wird ein Spontanatmungsversuch (spontaneous breathing test: SBT) durchgeführt, dessen Ergebnis anzeigt ob extubiert werden kann oder weiter an der Beatmungsmaschine entwöhnt werden muss. Wenn eine weitere, schrittweise Entwöhnung notwendig ist, erfolgt dies in der Regel entweder durch immer längere Phasen einer Spontanatmung zwischen Phasen der maschinellen Beatmung oder durch eine langsame Reduktion der Unterstützung durch das Beatmungsgerät, erkennbar z.B. an einer Minderung des Beatmungsdruckes, der während der Einatmung und am Ende der Ausatmung von der Maschine angewandt wird. Wenn der SBT positiv ausgeht kann extubiert werden.
Physiotherapeutische und atemtherapeutische Maßnahmen sind wichtige Säulen im Weaningprozess. Durch das gebesserte Sekretmanagement kommt es zur physiologischen Atmung und durch das Abhusten werden mögliche Reinfektionen verhindert oder minimiert. Zudem werden durch die atem- und physiotherapeutischen Maßnahmen die Dekonditionierung der Muskulatur, inklusive der Atemmuskulatur, durchbrochen und Muskelmasse aufgebaut. Dies gilt auch für Personen mit Critical Illness Polyneuropathie, die ebenfalls sehr stark muskulär kompromittiert sind. Die Mobilisation von Patient:innen im prolongierten Weaning, auch unter der invasiven Beatmung, erhöht die Motivation, da durch die Zuwendung und die (kleinen) täglichen Erfolge der Benefit der Therapie verspürt wird. Es werden durch die aktive und passive Mobilisationsübungen Kontrakturen verhindert und konsequenter Muskelaufbau betrieben. Die Risiken von Dekubitusverletzungen werden minimiert, die Weaningdauer verkürzt.
Ein effektives Sekretmanagement stellt ebenfalls einen wichtigen Bestandteil im Weaningprozess dar und entscheidet mit über Erfolg und Misserfolg eines erfolgreichen Weanings, einer Dekanülierung und Verlegung in eine Rehabilitationseinrichtung. Durch den invasiven Beatmungszugang bzw. die häufig begleitende Muskelschwäche ist der Hustenstoß oft nicht effektiv bzgl. der Sekretentfernung aus den Atemwegen. Neben invasiven Techniken wie Bronchoskopie und endotrachealem Absaugen (Tätigkeit von Pflegekräften bzw. der Atmungstherapie) nimmt auch hier die Physiotherapie eine wichtige Bedeutung ein. Hier kommen spezielle Techniken zur Sekretolyse zum Einsatz, z.B. mittels endobronchial oder transthorakal oszillierender Systeme oder Inhalationstherapie, z.B. mit hochosmolaren Kochsalz-Lösungen. Die Sekretentfernung kann anschließend z.B. mittels Lagerungstherapie, Huffing, PEP-System, manuell assistiertem Husten oder Anwendung von mechanischen Hustenhilfen wie dem Mechanical Insufflator-Exsufflator erfolgen, dessen Indikation nur bei neuromuskulären Erkrankungen und gesunden Lungen besteht. Insbesondere bei neuromuskulären Erkrankungen und NIV kann es auch angeraten sein den Hustenstoß bzw. die Kraft der Atempumpe durch Messung des peak expiratory flow = PEF bzw. des cough peak flow = CPF zu überwachen. Physiotherapie und Sekretelimination werden täglich, auch am Wochenende, im Weaningprozess durchgeführt.
Bei absehbar längerer invasiver Beatmung und prolongiertem Weaning erscheint es angeraten eher früher (also deutlich vor Erreichen der 10 Tage) die in den allermeisten Fällen über die chirugische Tracheotomie zu favorisierende perkutane Dilatationstracheotomie durchzuführen. Die Vorteile sind in diesem Fall die verkürzte Dauer der Sedation, die hiermit verbundene frühere Eigenatmung und die möglicherweise kürzere Beatmungsdauer insgesamt.
Der Erhalt des Tag/Nachtrhythmus hat entscheidenden Anteil am Weaningerfolg. Die Aufhebung des Tag-/Nachtrhythmus fördert delirante Entwicklungen und hat negative Auswirkungen auf das Immunsystem, das Herz-Kreislauf-System, die Kognition und die Atemmuskelkraft. Die Einhaltung eines normalen Tag-/Nachtrhythmus ist also ein wichtiges Ziel beim Weaningprozeß.
Ein physiologischer Flüssigkeitsstatus ist eine vitale Voraussetzung für den optimalen Ablauf der Stoffwechselvorgänge. Die Flüssigkeitsbilanz erfolgt nach dem klinischen Bild (u.a. Beinödeme, Anasarka), nach dem Labor (Krea, BnP, Elektrolyte), nach dem Röntgen Thoraxbild (Herzinsuffizienz, Pleuraergüsse), nach der Bilanz und unter Berücksichtigung von Fieberepisoden. Eine Verschiebung der Flüssigkeiten sind häufig auch bei einem niedrigem Gesamteiweiss zu beobachten. Hier werden neben Anasarka auch häufig Pleuraergüsse beobachtet, die entsprechend drainiert werden müssen. Die Ernährungstherapie sollte so bald als möglich auf eine enterale Therapie umgestellt werden, um ein Zottenatrophie zu verhindern. Dies erfolgt in der Regel über eine gastrale Sonde. Nach erfolgreichen Weaning bekommen Patientinnen und Patienten oft ergänzend hochkalorische Energiedrinks.
Patient:innenen im prolongierten Weaning weisen nicht selten Störungen des Schluckaktes auf, vor allem bei neurologischen Grunderkrankungen. Da eine Dysphagie den Boden für Aspirationen und nachfolgend auch respiratorische Infektionen bereiten kann, ist eine korrekte Beurteilung des Schluckaktes mittels Fiberoptic Evaluation of Swallowing = FEES unerläßlich und erfolgt in der Regel – wie die Bronchoskopie – routinemäßig. Im Falle des Nachweises einer Schluckstörung erfolgt dann entsprechend ein logopädisches Training. Prophylaktisch versuchen wir so früh wie möglich für kurze Phasen an der Sprechkanüle zu sorgen, um zum einen früh zu erkennen, ob es bei der Stimmbildung Probleme gibt und zum anderen frühzeitig einen Luftstrom zu generieren, damit es zur Re-Sensibilisierung von Nervenendigungen kommt. Bei z.B. kloßiger Sprache wird umgehend mit einer Lymphdrainage im Halsbereich begonnen.
Die Dauer der Beatmungsentwöhnung ist von verschiedenen Faktoren abhängig, einschließlich der zugrunde liegenden Erkrankung, der allgemeinen Gesundheitslage der Patient:innen, der Dauer der Beatmung und der Fähigkeit zur Eigenatmung. In einigen Fällen kann Weaning nur wenige Tage dauern, während es in anderen Fällen mehrere Wochen oder sogar Monate in Anspruch nehmen kann. Betroffene, die längere Zeit auf der Intensivstation behandelt wurden oder eine schwere Lungenerkrankung haben, benötigen oft eine längere Entwöhnungsphase. Die medizinische Betreuung wird an den Fortschritt angepasst, und es wird stets darauf geachtet, den Entwöhnungsprozess nicht zu beschleunigen, um Komplikationen zu vermeiden.
Prof. Dr. med. Andreas Günther
Chefarzt
Pneumologische Klinik & Zentrum für Innere Medizin am AGAPLESION EV. KRANKENHAUS MITTELHESSEN
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