11. Oktober 2024
Die Schwelle des Stresses, ab welcher eine Depression ausgelöst wird, ist interindividuell sehr verschieden. Menschen mit erblicher Veranlagung zur Depressivität und/oder Traumata, Gewalterfahrungen, Missbrauch in der Kindheit besitzen eine deutlich erhöhte Anfälligkeit/ Vulnerabilität für eine Depressionsentwicklung.
Wir kennen heute eine Reihe weiterer Faktoren, die eine Depression auslösen können: Medikamente (v.a. Cortisol), Drogen (Alkohol!), chronische körperliche Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, Rheumaerkrankungen), chronische Schmerzen, zerebrale Durchblutungsstörungen (Schlaganfall) oder neurodegenerative Erkrankungen (Parkinson, Demenz). Eine Sonderform der Depression ist die saisonale Depression, die bei veranlagten Personen in der dunklen Jahreszeit auftritt.
Rund 16 Prozent der Bevölkerung erleidet in ihrem Leben eine depressive Episode. Etwa 7-8 Prozent der Bevölkerung sind an einer Depression erkrankt, Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Prinzipiell sind Depressionen zyklische Erkrankungen, die nach Monaten von alleine wieder abklingen können, soweit sich die auslösenden (Stress-)Bedingungen modifizieren lassen. Bei 20-25 Prozent der Betroffenen zeigen sich allerdings auch chronische Verläufe, die mehr als 2 Jahre dauern.
Zusätzlich verstärkend und verkomplizierend ist die ausgeprägte Stigmatisierung, der Personen mit Depression auch in den heutigen, „aufgeklärten“ Zeiten der Leistungsgesellschaft ausgesetzt sind. Depressive bekommen mitunter zu hören: „Reiß Dich zusammen!“, „Alles eine Frage des Willens!“, „Stell dich nicht so an“. Der Krankheitswert der Depression wird abgestritten, Depressive werden einfach für „faul“ oder „charakterschwach“ gehalten. Hinzu kommt, dass Betroffene sich häufig selbst stigmatisieren: „Ich bin ein Jammerlappen“, „Ich bin eine Zumutung“. Stigmatisierung ist ein Hauptgrund, weshalb sich Betroffene keine Hilfe suchen und versuchen, die Depression alleine zu bewältigen.
Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad der Depression, nach den Behandlungspräferenzen der Patient:innen und, last not least, nach der Verfügbarkeit der Behandlungsmethoden (häufig lange Wartezeiten für ambulante Psychotherapie; ambulante oder aufsuchende Psychotherapie für alte Patient:innen oder alte Patient:innen im Pflegeheim häufig indiziert, aber nur sehr selten verfügbar).
Evidenzbasiert wirksame Behandlungsverfahren einer Depression sind: Psychotherapie, Medikamente, sog. somatische Verfahren (wie Lichttherapie oder Elektrokonvulsionstherapie), aber auch Ergo-, Kunst-, Musik- und Bewegungstherapie.
Bei der leichten Depression muss nicht unbedingt eine Behandlung erfolgen, hier kann auch erst einmal „watchful waiting“ angezeigt sein. Das bedeutet, nach Diagnostik erfolgt eine Aufklärung über das Störungsbild Depression, eine Beratung über den Umgang mit den Symptomen (etwa Schlafhygiene) und zum Stressmanagement. Gelegentlich klingt die leichte Depressivität unter den o.g. Maßnahmen ab, daher wird der weitere Verlauf erst einmal beobachtet.
Bei der mittelschweren Depression sollte eine psychotherapeutische oder medikamentöse antidepressive Behandlung angeboten werden. Bei den Medikamenten ist es wichtig zu wissen, dass man zwischen Antidepressiva und symptomatischen Medikamenten unterscheidet.
Antidepressiva verbessern die depressiven Symptome, allerdings erst nach 2-4 Wochen. Sie machen nicht süchtig und verändern die Persönlichkeit nicht. Nach Abklingen der depressiven Symptome sollten die Antidepressiva zur Erhaltungstherapie noch ca. 9 Monate weiter eingenommen werden, da in diesem Zeitraum ein erhöhtes Rückfallrisiko bei Absetzen besteht. Zur Beendigung der Behandlung mit Antidepressiva sollten die Medikamente langsam ausgeschlichen werden, da es sonst körperliche Absetzeffekte gibt, die sich wie der Beginn einer erneuten Depression anfühlen können.
Symptomatische Medikamente reduzieren die innere Unruhe, verbessern den Schlaf, ohne selbst die Depression zu bekämpfen. Sie können bei starker Unruhe, Verzweiflung, Schlaflosigkeit, Grübelzwang zu Beginn der Behandlung zusätzlich hilfreich sein.
Psychotherapie hilft nachhaltig!
Kommt es durch die Medikation in einem relativ kurzen Zeitraum (2-4 Wochen) zu einer merklichen Besserung der depressiven Symptome, während die „Wirklatenz“ der Psychotherapie mit etwa 7 Wochen größer ist, so zeigt sich die Psychotherapie gegenüber der medikamentösen Behandlung jedoch in puncto nachhaltiger Wirkung deutlich überlegen. Patient:innen, die durch Psychotherapie von der Depression geheilt werden, zeigen deutlich weniger und deutlich spätere Rückfälle als Patient:innen, die „nur“ eine medikamentöse Therapie erhalten haben.
In der Psychotherapie werden die Vulnerabilität der Patient:innen und die spezifischen Auslöser für die Depression herausgearbeitet. Es werden u.a. Wege aufzeigt und eingeübt, um durch Verhaltensänderung trotz Vulnerabilität und Alltagsstress nicht wieder depressiv zu werden. Es geht also bei der Psychotherapie immer auch um die Stärkung der eigenen Widerstandsfähigkeit oder Resilienz gegenüber Depression.
Bei schwerer Depression multimodal behandeln!
In der stationären, teilstationären oder aufsuchenden Akutbehandlung (StäB), die i.d.R. bei schwerer Depression indiziert sind, behandeln wir im multiprofessionellen Team „multimodal“: Abhängig von deren Behandlungspräferenzen bieten Patient:innen sowohl psychotherapeutische als auch medikamentöse Therapien an sowie Ergo-, Kunst-, Musik- und Bewegungstherapie. Während Bewegung (v.a als Gruppenaktivität) einen starken antidepressiven Effekt zeigt, wirken Ergo-, Kunst- und Musiktherapiewirkennicht nur tagesstrukturierend, sie ermöglichen zudem wichtige nonverbale Zugänge, reduzieren Anspannung, verbessern Emotionsregulation und ermöglichen positive Erfolgserlebnisse.
Chronische oder therapieresistente Depression
Für Patient:innen, bei denen die Depressionen chronisch oder „therapieresistent“ (d.h., mehrere medikamentöse Behandlungsversuche haben nichts gebracht) verlaufen, stehen sowohl psychotherapeutisch als auch medikamentös und somatisch spezielle, evidenzbasierte Behandlungsmethoden zur Verfügung, die wir im stationären Rahmen anbieten: CBASP (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy), Esketamin, Elektrokonvulsionstherapie.
Suizidalität als besondere Herausforderung
Suizidgedanken sind bei Depression häufig und müssen immer ernst genommen werden. Das schambesetzte Thema muss im Rahmen der Diagnostik immer vertrauensvoll aber offen angesprochen werden. Bei erhöhter Suizidalität bieten wir den Patient:innen eine stationäre Behandlung und psychotherapeutische Unterstützung zur Bewältigung der Krise an.
In der Therapie muss ein besonderes Augenmerk den Familienangehörigen/ Lebenspartner:innen von Menschen mit Depression gelten. Diese sind i.d.R. durch die Depression des/der Angehörigen selbst sehr belastet, verunsichert, hilflos, entwickeln Schuldgefühle. Sie sollen immer mit in die Behandlung einbezogen werden, sofern die Patient:innen dies wünschen oder zumindest zulassen.
Die Depression ist eine ernste, aber behandelbare Erkrankung, die jede:n treffen kann. Wenn Sie oder jemand in Ihrem Umfeld Anzeichen einer Depression zeigen, ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Frühzeitige Beratung und Interventionen können das Leiden verkürzen, den Heilungsprozess unterstützen und die Widerstandsfähigkeit vor erneuten depressiven Entwicklungen stärken.
Prof. Dr. med. Andreas Fellgiebel ist seit November 2019 Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am AGAPLESION ELISABETHENSTIFT in Darmstadt. Neben seiner Tätigkeit am Elisabethenstift ist Prof. Fellgiebel Gründungsdirektor und Berater am Zentrum für psychische Gesundheit im Alter in Mainz.
Regionale Anlaufstellen sind die Bündnisse gegen Depression (wie: http://www.buendnisgegendepression-darmstadt.de/), die individuelle Beratung und niederschwellige Gruppenaktivitäten anbieten.
Empfehlenswert sind auch einige Werke der Ratgeberliteratur, wie:
Matthew Johnstone: Mein schwarzer Hund – Wie ich meine Depression an die Leine legte, Kunstmann Verlag. Johnstone ist selbst Psychiater, der von Depression betroffen ist. Johnstone hat zusammen mit seiner Ehefrau ebenfalls einen empfehlenswerten Ratgeber mit Fokus auf die Angehörigen verfasst: Matthew und Ainsley Johnstone: Mit dem schwarzen Hund leben – wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Kunstmann Verlag.
Finden Sie das richtige Angebot und die passenden Ansprechpartner:innen in Ihrer Region mit unserem Standortfinder >