28. Februar 2022
Nein, Epilepsie tritt deutlich häufiger auf, als die Erkrankung wahrgenommen wird. Statistisch gesehen erleidet etwa jeder zwanzigste Mensch mindestens einmal in seinem Leben einen epileptischen Anfall. Das ist in etwa genauso häufig wie Diabetes oder ein Gelenkrheuma.
Unter diesen wird bei etwa jedem fünften aufgrund wiederkehrender Anfälle oder bestimmter diagnostischer Befunde die Diagnose Epilepsie gestellt.
Unsere Hirnrinde besteht überwiegend aus mikroskopisch kleinen Nervenzellen. Diese stehen über fadenförmige Ausläufer mit benachbarten Nervenzellen in Verbindung. Elektrische Entladungen einzelner Nervenzellen können über diese Verbindungen auf benachbarte oder entfernte Zellen übertragen werden, welche so ein komplexes Netzwerk bilden. Innerhalb dieses Netzwerkes finden sich Nervenzellverbände, die zu Funktionseinheiten zusammengefasst werden.
Beispielsweise ermöglicht eine Gruppe von vielen Millionen Nervenzellen im hinteren Teil des Großhirns unsere Sehfunktion, während ein etwa senkrecht verlaufender Streifen von Nervenzellen in der hinteren Schläfenregion Muskelbewegungen in den Armen und im Gesicht steuert. Die Funktionalität unserer oft komplexen Handlungen und realitätsnahen Wahrnehmungen erfolgt über ein diffiziles Wechselspiel aus elektrischer Aktivierung und Hemmung der beteiligten Nervenzellen. Gerät als Folge einer Epilepsie dieses Wechselspiel vorübergehend aus dem Gleichgewicht, so kann es zu einer verminderten elektrischen Hemmung zuvor aktivierter Nervenzellen kommen.
Bildlich gesehen kommt es zu einem unkontrollierten Ausbreiten elektrischer Entladungen. Erreicht diese unwillkürliche Aktivierung Hirnregionen mit spezifischer Funktion, so wird diese Funktion meist ohne Kontrollmöglichkeit für den Betroffenen beeinträchtigt oder übersteigert aktiviert. So verursachen Anfälle in der Sehrinde beispielsweise irreale bildliche Eindrücke („visuelle Anfälle“). Anfälle in für die Bewegung verantwortlichen Gehirnanteilen können bizarre Bewegungsabläufe auslösen, umgangssprachlich oft als „Krämpfe“ bezeichnet. Eine Beteiligung der für die Wachheit verantwortlichen Hirnstrukturen kann zur Bewusstlosigkeit führen. Das Gehirn hat für einen kurzen Moment ein „Eigenleben“ entwickelt, ein epileptischer Anfall hat sich ereignet.
Zuerst einmal ist es in einer Notsituation wichtig, Ruhe zu bewahren. Nach Einschätzung der Situation gilt es die allgemeinen Regeln der Ersten Hilfe anzuwenden und ggf. den Notruf zu alarmieren.
Ist die Person sturzgefährdet, benötigt sie Unterstützung beim zu Boden gleiten, um mögliche Sturzfolgen gering zu halten. Wenn möglich den Kopf auf einer weichen Unterlage ablegen, das kann auch eine Jacke sein. Die Umgebungssicherheit spielt bei krampfenden Personen eine große Rolle: Ecken, Kanten und umherstehende Gegenstände sollten entfernt oder gesichert werden.
„Krampfende“ Personen sollen nicht festgehalten werden, da dies zu Verletzungen der Betroffenen und der Ersthelfer:innen führen könnte. Nach einem Anfall sollte das Bewusstsein und die Atmung kontrolliert werden, bis die Rettungskräfte vor Ort eintreffen.
Dr. med. Frank Bösebeck ist Abteilungsleiter der Epileptologie am AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG. Weitere Informationen finden Sie auf der Seite des Epilepsiezentrums.
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