17. Januar 2024
Die Forschungsergebnisse sind deutlich: Zusammenfassend wurden bei 41 Prozent der Betroffenen Verschlechterungen ihres Gesamtbefindens im Kontext der Corona-Pandemie angegeben. Am stärksten betroffen waren die Bereiche Stimmung, alltagsstrukturierende Kompetenzen, soziale Interaktion und geistige Leistungsfähigkeiten. Aber auch körperlich waren negative Folgen des Lock-Down festzustellen. Beispielsweise fanden sich erhebliche Verschlechterungen der motorischen Koordination und Beweglichkeit, oft einhergehend mit einer Verstärkung vorbestehender Lähmungen. Dies kann für Betroffene mit bereits vorbestehenden Einschränkungen langfristig desaströse Folgen für die individuelle Mobilität haben.
Diese unmittelbar auf die Lock-Down-Maßnahmen zurückzuführenden Folgen beschränken sich nicht nur auf die individuellen Verschlechterungen eines:einer jeden Betroffenen. Sie haben ebenso negative Konsequenzen für die Qualität der mittlerweile hochdifferenzierten pädagogischen und medizinisch-therapeutischen Betreuungsleistungen, sowie – nicht zuletzt – auf das alltägliche Miteinander. Das wiederum löst einen quantitativ wie qualitativ erhöhten Betreuungs- und Unterstützungsbedarf aus. Unter anderem darum beschreiben 49 Prozent der Antwortenden, dass sich die Stimmung der Betroffenen verschlechtert hätte. „Das ist keineswegs banal, weiß jeder, der mit Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderungen zu tun hat“, erläutert Bösebeck, „denn dadurch schränken sich die Ausdrucksmöglichkeiten massiv ein und der Unterstützungsbedarf steigt unmittelbar.“
Jede einzelne Schutzmaßnahme für Menschen mit Behinderungen für sich betrachtet war vermutlich sinnvoll, die Summe der Maßnahmen jedoch wirkte sich medizinisch zum Teil drastisch negativ auf die Betroffenen aus
,zieht Bösebeck Resümee. Sein Fazit: "Durch die einzelnen Entscheidungen wurde faktisch weite Teile des hochdifferenzierten Unterstützungssystems für Menschen mit Behinderung zum Erliegen gebracht. Das glich einem ‚Wegsperren‘ mit erheblichen negativen medizinischen, sozialen und psychischen Effekte für die Betroffenen."
Die Studie und ihre Ergebnisse haben sowohl retrospektive als auch prospektive Funktion: „Die Integration von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft ist ein komplexes Unterfangen, dessen Gelingen unmittelbar von der Kooperation und der Teilhabe aller Beteiligten abhängt. Wir als diakonische Einrichtung verstehen das als identitätsstiftenden Auftrag, uns besonders in Krisenzeiten für vulnerable Menschen zu engagieren und mit ihnen in der Mitte der Gesellschaft Bedingungen und Exempel integrativer Kultur voranzubringen“, ordnet Bösebeck diese Arbeit ein und ergänzt:
Wissenschaftliche Forschung gibt es in diesem Feld nur sehr begrenzt. Umso dankbarer sind wir sowohl den Betroffenen als auch den Einrichtungen für ihre Unterstützung. Mit diesen Ergebnissen können wir darum gut in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs gehen, wie wir Integration und Teilhabe erfolgreich voranbringen.
Neben Dr. med. Frank Bösebeck, Abteilungsleiter Epileptologie und MZMB, gehören zum Forschungsteam Prof. Dr. med. Carsten Konrad, Chefarzt im Zentrum für Psychosoziale Medizin - beide tätig am AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG - Hans Worthmann, ehemaliger Leiter des Psychologischen Dienstes in den Rotenburger Werken der Inneren Mission gGmbH, sowie Claudia Möller, Leiterin des Innovationsmanagements bei der AGAPLESION gAG in Frankfurt.
Die Studie ist weltweit eine der quantitativ größten wissenschaftlichen Arbeiten in diesem Feld und wurde maßgeblich vom MZEB Rotenburg vorangetrieben. MZEBs, also „Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderungen“, bieten bundesweit eine regelhafte ambulante und interdisziplinäre medizinische Versorgungs- und Behandlungsstruktur für Menschen mit Behinderungen.
In direkter Nachbarschaft zu den Rotenburger Werken der Inneren Mission, einer der größten Träger für Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen in Norddeutschland, und in guter Vernetzung zu Partner:innen in Bremen, Niedersachsen und Hamburg bot es sich an, diese Studie in Rotenburg am AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG durchzuführen.
Dabei stellte die AGAPLESION gAG maßgeblich elektronische Erhebungs- und Auswertungstools des Datenmaterials.
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